Der große Weltenbrand – 2. Petrus 3, (3-7)8-13
8 Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, daß ein Tag vor
dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag. 9
Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine
Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will
nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß jedermann zur
Buße finde. 10 Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb;
dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die
Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und
Werke, die darauf sind, werden nicht mehr zu finden sein.
11 Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müßt ihr dann
dastehen in heiligem Wandel und frommem Wesen, 12 die ihr das
Kommen des Tages Gottes erwartet und ihm entgegeneilt, wenn
die Himmel vom Feuer zergehen und die Elemente vor Hitze
zerschmelzen. 13 Wir warten aber auf einen neuen Himmel und
eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit
wohnt.
(Übersetzung: Luther 2017)
Der November ist immer die Zeit des Abschiednehmens. Häufiger
als sonst führt uns der Weg auf den Friedhof in diesen Tagen. Bei
einigen Familien werden frisch vernarbte Wunden wieder
aufgerissen. Unweigerlich wenden sich unsere Gedanken und
Gefühle dann zurück in die Zeit, als man den Mann oder die Frau,
den Vater oder die Mutter noch bei sich hatte. Wie gerne möchten
wir das Rad der Zeit zurückdrehen.
Solch ein Verlust wiegt immer schwer, auch wenn er schon
halbwegs überstanden schien. In diesen Tagen und Wochen im
November dreht sich noch einmal alles um den Abschied vom
Leben - vom Leben der Verstorbenen, aber allmählich auch vom
eigenen Leben. Nichts auf dieser Welt ist von Bestand, auch nicht
wir selbst. Schmerzlich wird uns das bewußt.
Was könnte uns dies plastischer und drastischer ins
Gedächtnis rufen als solche eindringlichen Worte aus dem
zweiten Brief des Petrus? Diese Sätze führen uns nichts weniger
als den großen Weltenbrand vor Augen. Flammendes Inferno – so
hieß ein Kassenschlager im Kino zu meiner Schulzeit. Filme wie
dieser waren aber erst ab 16 Jahren freigegeben: zuviel Gewalt,
nichts für kleine Kinder. Dabei produziert Hollywood mittlerweile
einen solchen Action-Film nach dem anderen. Immer wieder das
gleiche Muster: Böse Gewalten bedrohen gleich die ganze Welt.
Und irgendein Action-Held muß sie retten. Alles steht auf dem
Spiel, das Leben der ganzen Menschheit. James Bond war erst der
Anfang.
Ist unsere Welt womöglich doch aus den Angeln zu heben?
Der Klimawandel mit der Erderwärmung und den
Überschwemmungen, dazu die Kriegsherde in der Ukraine und
jetzt auch wieder im Nahen Osten legen diesen Rückschluß nahe,
nicht nur bei den jungen Leuten von der „Letzten Generation“.
Doch ganz so schlimm wird es wohl nicht kommen, und davon
lebt ja das dauernde Krisengerede: Die Leute sind nur mit
drastischen Befürchtungen wachzurütteln, ehe es zu spät ist.
Nachher kann man sich beruhigt wieder zurücklehnen, wenn die
Krise einigermaßen überstanden ist. In Köln sagt man: „Et hätt
noch immer joot jejange.“
Wer jedoch eine echte Lebenskrise erfahren hat, für den ist
tatsächlich eine Welt untergegangen. Mit einer Krebs-Diagnose
lebt niemand mehr so wie zuvor. Erst recht ist das so, wenn wir
jemanden aus unserer Mitte verlieren. Mit jedem Todesfall geht
eine ganze Welt unter, die Welt der Beziehungen, in denen wir mit
dem Verstorbenen gelebt haben. Die Liebe, die uns miteinander
verbunden hat. All das bricht auf einmal ab, von einem Moment
zum anderen. Der Ehemann, die Ehefrau, der Vater oder die
Mutter ist nicht mehr da und mit ihnen vieles von dem, was unser
Leben ausgemacht hat, meistens durch lange Jahre.
Die Welt unserer Familien ist zerbrochen vom Tod, und wir
müssen die Bruchstücke erst einmal neu sortieren und die Lücke
mühsam schließen. Auch wenn uns das gelingt im Laufe der Zeit,
wird die Welt für uns nicht mehr so aussehen wie zuvor. Durch
jeden Tod eines Angehörigen erhält auch unser Leben einen Riß,
und es wird uns schmerzlich bewußt, daß nichts von Dauer ist.
So erleiden alljährlich wieder einige Familien in unserer
Gemeinde den Untergang einer kleinen Welt und müssen sich
irgendwie damit zurechtfinden. Der große Weltenbrand aber
bleibt aus. Das macht die Bilder davon im Kino so harmlos.
Deswegen können wir uns bei Action-Filmen so gut unterhalten,
statt daß uns ein Schauer über den Rücken läuft. Jeder Mensch
verläßt sich ja darauf, daß es so schlimm denn doch nicht
kommen wird. Wir jedenfalls werden damit nichts zu tun
bekommen. Davon gehen wir stets aus, an jedem Tag von neuem.
Welche Folgen hat das aber für unser Leben? Zunächst einmal
beruhigt es uns und läßt uns über solche Bibelworte wie diese aus
dem zweiten Petrusbrief insgeheim vielleicht schmunzeln. Wir
wissen es besser. Unser Leben ist jedenfalls nicht täglich vom
Weltuntergang bedroht, dem flammenden Inferno.
Statt dessen kann sich jeder darauf freuen, daß ihm lange
Jahre hier auf Erden beschieden sind, im Durchschnitt mittlerweile
etwas mehr als achtzig. Ein langes Leben, das wir selber gestalten
können oder auch gestalten müssen - je nach Sichtweise.Junge Menschen gehen dabei mit Tatendrang ans Werk. Sie
basteln unentwegt an ihrem Leben herum, probieren alles aus,
verschiedene Moden ebenso wie musikalische Vorlieben oder
religiöse Überzeugungen. Althergebrachte Traditionen streifen sie
ab und treffen bei allem im Leben eine persönliche Auswahl. Denn
nur das Leben, das ich selber gestaltet habe, ist wirklich mein
Leben. Wenn das Leben einen Sinn hat, dann den, den ich ihm
gegeben habe. Darum lautet die Werbung einer Bank: Unterm
Strich zähl´ ich.
So kreisen wir alle gerne vorzugsweise um uns selber.
Niemandem fühlen wir uns verantwortlich außer uns selbst.
Zudem vertrauen wir der Werbung und glauben am Ende wirklich,
daß selbst meine Hausbank sich ganz allein um mich kümmert
und nicht um ihre Umsätze.
Zu alledem kommt auch unsere eigene Endlichkeit. Denn
irgendwann ist Schluß mit lustig, spätestens wenn es ans Sterben
geht. So weit will noch niemand den Blick vorauswerfen. Doch der
Spaß, um den sich alles dreht, kann auch schon viel früher vorbei
sein.
Noch bis zum Beginn dieses Jahres haben wir nur allzu gern
geglaubt, wer ein Haus besitzt, verdient das Geld allein beim
Zuschauen. Denn die Hauspreise steigen unweigerlich immer
weiter in die Höhe. Schön für alle, die ein Haus zu verkaufen
haben und einfach nur abwarten müssen. Als skeptischer Mensch
habe ich aber noch die Worte meines Großvaters im Ohr: „Es ist
noch kein Baum in den Himmel gewachsen“, sagte er gern zu
seinen Enkeln. Am Ende dieses Jahres ist in der Zeitung zu lesen:
Die Preise für gebrauchte Häuser sind bereits um etwa ein Drittel
gesunken, Tendenz weiter fallend. Zudem wird die
Baufinanzierung ohnehin immer schwieriger, jedenfalls wenn
man keine Ersparnisse hat.
Liebgewordene Welten brechen urplötzlich zusammen. Wenn
man sich umhört, geraten Menschen derzeit in bittere
Enttäuschung darüber, daß viele ihrer Träume auf einmal
zerbrechen oder zumindest auf Eis gelegt sind. Das trifft Jung wie
Alt gleichermaßen. Sie wenden sich ab – von der Politik und auch
von den Kirchen. Wenigstens da lassen sich noch ein paar Euro
sparen, so scheint es jedenfalls. Aber auch das trügt.
Doch bevor wir alle in Schwermut versinken, bietet der zweite
Petrusbrief uns eine Alternative an. Wir sind nicht nur uns selbst
verantwortlich. Der Maßstab für unser Leben ist nicht nur unser
Verlangen nach Geld und Glück: Wehe uns, wenn wir uns alsVersager fühlen, weil unsere Träume unerfüllt bleiben. Denn wir
sind selber unseres Glückes Schmied.
Richter über unser Leben ist vielmehr Gott. Auch wenn es
nicht danach aussieht. Denn wer hat schon von einem Menschen
gehört, der vor dem Richterstuhl Gottes stand und sich dort für
seinen Lebenswandel verantworten mußte? Nichts Genaues weiß
man nicht. Es ist auch noch keiner zurückgekommen. Gottes
Richterstuhl ist für uns seit langem leer – falls es ihn überhaupt
gibt.
Statt dessen sitzen unser eigenes Glücksstreben, unsere
Wünsche und Träume vom erfüllten Leben, über uns zu Gericht.
Haben wir alles richtig gemacht? Haben wir alles erreicht, was wir
uns vom Leben versprochen haben? Oder sind Wünsche offen
geblieben und Träume zerplatzt wie Seifenblasen? Wie war das
noch mit der allgegenwärtigen Selbstoptimierung, die uns aus
dem ganzen Schrott in den Sozialen Medien im Internet
entgegentönt: Du kannst alles erreichen, wenn du nur willst? Also
mach was aus dir! Täuschen wir uns nicht: Dieses Gericht wäre
gnadenlos und unerbittlich - viel mehr als Gott es jemals sein
könnte. Mit dem rechnet ohnehin keiner mehr.
Dabei will der zweite Petrusbrief auch uns wieder wachrütteln:
Die zweitausend Jahre seit dieser Ankündigung sind vor Gott
gerade mal so viel wie zwei Tage für uns. Was für uns schon
unendlich lange erscheint, fällt für Gott kaum ins Gewicht.
Urplötzlich ist er da, der letzte Tag - und sei es nicht der letzte Tag
der ganzen Welt, sondern nur der letzte Tag unseres Lebens. Wer
einen Menschen aus seinen Reihen verloren hat, der spürt, wie
unvorbereitet uns dieser Untergang eines einzelnen Lebens
immer trifft. Und der weiß auch, wieviel dabei in die Brüche geht.
Aber das braucht uns nicht zu ängstigen. Jedenfalls dann
nicht, wenn wir wissen, welche Perspektive unser Leben hat als
Leben im Glauben an Gott. Wenn wir darauf vertrauen, daß Gott
auf uns wartet am Ende unserer Tage, dann dürfen wir auch
darauf hoffen, daß er all diese Bruchstücke unseres Lebens
wieder aufsammelt und ein Ganzes daraus macht. Nur Gott kann
das.
Denn uns erwartet kein gnadenloses Gericht am Tage Gottes,
das uns unerbittlich alles vorhält, was uns nicht gelungen ist im
Leben. Wir müssen uns dann nicht grämen über all die verpaßten
Chancen, noch mehr zu machen aus unserem Leben - noch mehrSpaß zu haben und uns noch mehr vor allen anderen hervorzutun
als Erfolgsmensch mit dem Motto „Unterm Strich zähl´ ich“.
Am Ende aller Tage ist nicht alles aus. Sondern dann warten
ein neuer Himmel und eine neue Erde auf uns. Darin wohnt
Gerechtigkeit, wie es der zweite Petrusbrief sagt. Was wir hier im
Leben versäumt haben, das wird Gott dann zurechtbringen. Was
uns hier vorenthalten wurde, das will Gott uns dort schenken:
Gerechtigkeit und Würde. Jeder, der Gott vertraut, soll dann zu
seinem Recht kommen, auch wenn er es im Leben schmerzlich
vermißt hat.
Wer immer zu kurz gekommen ist im Leben, weil er das Pech
hatte, nicht im reichen Europa oder Amerika zur Welt zu kommen,
sondern im Elend der Dritten Welt, auch der soll am Ende doch zu
Ehren kommen bei Gott. Zu der Ehre, die jedem Menschen als
Ebenbild Gottes verliehen ist. Das mag sogar für die Putins dieser
Welt gelten. Denn wenn Gott für Gerechtigkeit sorgt, dann wird er
auch sie endgültig trennen von dem Unrecht, das sie hier auf
Erden angerichtet haben.
Das gibt unserem Leben schon jetzt eine einzigartige
Perspektive. Unser Leben ist keine leere Hülle, die wir erst
ausfüllen müssen, damit es etwas darstellt in den Augen der
anderen - und auch vor uns selbst. Es hat nicht erst den Sinn, den
wir ihm selber geben - falls uns das jemals gelingt.
Als Christen dürfen wir sagen: Das Leben hat von Beginn an
einen guten Sinn, weil die Richtung von vornherein klar ist. Auf
unserem ganzen Lebensweg, sei er nun kürzer oder länger,
bewegen wir uns auf Gott zu, denn er wartet am Ende auf uns.
Und davor brauchen wir uns nicht zu fürchten, wie ja der zweite
Petrusbrief auch sagt. Ganz im Gegenteil: Wir dürfen uns darauf
freuen, dieses Ziel auch wirklich zu erreichen.
Das hat nichts mit Lebensüberdruß zu tun. Auch nichts mit
dem Spaß am großen Weltenbrand wie im Kino, möglichst
täuschend echt in 3D. Vielmehr macht es uns frei von dem Zwang,
pausenlos an unserem Leben herumzubasteln wie an einem
Kunstwerk, das wir erst am Ende unserer Tage zufrieden
betrachten können - um es dann für immer aus der Hand zu
geben. Denn mit dem Tod sei schließlich alles aus, wie viele
meinen.
Was unser Leben statt dessen bestimmt, das ist das Streben
nach diesem neuen Himmel und der neuen Erde Gottes.
Allerdings: Ein „Streber“ zu sein, gilt unter Schülern bekanntlich
als ausgesprochen uncool, als peinlich. Dabei ist doch jedem klar:Wer nach etwas strebt, der weiß genau, was er will. Der hat ein
Ziel vor Augen und tut alles dafür, daß er es auch erreicht. Und
am Ende hat er die Nase vorn.
So ist es dieses und kein anderes Ziel, das Reich Gottes, das
schon jetzt unsere Tage ausfüllt und ihnen einen guten Sinn gibt.
Und wer um diesen Sinn weiß, der kann sein Leben tatsächlich in
heiligem Wandel und frommem Wesen führen, wie es der zweite
Petrusbrief sagt. Und damit überfordern wir uns nicht mal. Jeder
Tag, den wir in diesem Glauben zubringen, ist niemals verloren.
Auch wenn uns nicht alles gelungen ist und die Erfüllung unseres
Traums vom Eigenheim noch auf sich warten läßt oder berufliche
Pläne sich anders gestalten als gedacht.
Wir können uns immer wieder gegenseitig aufrichten und an
dieses Ziel erinnern, dem wir entgegengehen. Was uns mißlungen
ist auf diesem Weg, was Bruchstück ist wie zuletzt doch unser
ganzes Leben, das soll schließlich kein Bruchstück bleiben,
unvollkommen und nutzlos. Sondern Gott wird es neu
zusammensetzen zu einem vollkommenen Ganzen jenseits der
Grenze, die uns der Tod noch setzt.
Das dürfen wir glauben, und dies nun zu schauen, das wollen
wir für unsere Verstorbenen erbitten in diesem Gottesdienst am
Ewigkeitssonntag.
Pastor Dr. Andreas Lüder