Ein Zuhause für Flüchtlinge - Migrantengemeinden in Niedersachsen sehen sich als Brückenbauer der Kulturen -

Thu, 19 Nov 2015 09:51:57 +0000 von Benjamin Simon-Hinkelmann

Theophile Divangamene kam vor 23 Jahren aus dem Kongo nach Deutschland. Heute leitet er in Hannover eine evangelische Migrantengemeinde. Und er will es Flüchtlingen einfacher machen, sich in dem neuen Land zurechtzufinden.

Hannover (epd). "Gibt es hier jemanden, der Freude empfindet?", ruft Pastor Theophile Divangamene auf Französisch in die Runde. Die Zuhörer klatschen und lachen - neun Erwachsene und zwei kleine Kinder aus Ruanda, Madagaskar und der Elfenbeinküste. Die Stimmung ist prächtig in der multikulturellen christlichen Gemeinde Bethanien, die jeden Sonntagnachmittag zum Gottesdienst im Gemeindehaus der evangelischen Auferstehungskirche in Hannover zusammenkommt. Die Migranten sind dort zu Gast, manchmal feiern beide Gemeinden gemeinsam. Viele der Besucher sind erst seit wenigen Monaten in Deutschland. Hier in der Gemeinde haben sie eine neue Heimat gefunden.

Divangamene selbst ist vor 23 Jahren aus dem Kongo gekommen. In Hannover hält der 47-Jährige seit drei Jahren Gottesdienste auf Französisch. Wenn Deutsche dabei sind, übersetzt er sich selbst. Seine Predigt dauert gut dreißig Minuten. Doch die Zeit vergeht schnell, wenn der studierte Politikwissenschaftler und Theologe mit ausholenden Handbewegungen und spontanen Gesangseinlagen erzählt. So wie der Hirtenjunge David in der Bibel keine Angst vor dem Riesen Goliath hatte, sollten auch seine Zuhörer keine Angst vor der neuen Sprache und dem neuen Land haben, sagt er. "Es gibt immer Leute, die euch entmutigen wollen, aber ich sage euch: Geht euren Weg weiter."

Einer der Besucher ist der 29-jährige Kouassi von der Elfenbeinküste. Er lebt seit sieben Monaten in einem Flüchtlingswohnheim. Von den Gottesdiensten hat er durch Deutschkurse erfahren, die Divangamene dort gibt. "Wir kommen hierher, um eine neue Familie zu finden, und es ist wie eine Art Therapie", sagt Kouassi. Viele im Wohnheim seien durch die Flucht traumatisiert. In der Gemeinde träfen sie Menschen aus ihrer Heimatregion und könnten Neuigkeiten austauschen. "Und wir können Französisch reden."

Allein in der Region Hannover gibt es rund 50 evangelische Gemeinden anderer Sprache und Herkunft. Ihre religiösen Ausrichtungen sind sehr unterschiedlich: Einige sind Baptisten und pflegen die Erwachsenentaufe, andere gehören zu den Methodisten oder zur Pfingstbewegung. "Jede Gemeinde hat ihre eigene Art von Frömmigkeit", sagt Michel Youssif. Der 55-Jährige ist Pastor der arabisch-deutschen Gemeinde in Hannover. Auch im Alltag gebe es Unterschiede. Weil etwa orientalische Menschen nicht so pünktlich seien, beginne der Gottesdienst in den arabischen Gemeinden immer schon zwei Stunden vorher mit einem gemeinsamen Essen.

Seit einem Jahr führt Youssif den Vorsitz der Internationalen Konferenz Christlicher Gemeinden (IKCG). Dieses Netzwerk wurde von Migranten-Gemeinden aus ganz Niedersachsen gegründet, um die Zusammenarbeit untereinander und mit der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers zu stärken. In einer Resolution hat die Konferenz Anfang Oktober ihr Engagement für die Flüchtlingsarbeit bekräftigt.

"Die Migranten-Gemeinden spielen jetzt eine große Rolle", erläutert Michel Youssif. Deren Mitglieder sprächen dieselbe Sprache wie die Flüchtlinge und kämen aus derselben Kultur. "Da kann jemand mitfühlen, und die Menschen öffnen sich." Gleichzeitig wüssten die schon früher Zugewanderten aber auch, wie das Leben in Deutschland ist. In ihrer Resolution nennen sie sich deshalb "Brückenbauer".

Als solcher sieht sich auch Theophile Divangamene. In seinen Deutschkursen geht es deshalb nicht nur um die Sprache. "Ich unterrichte, wie man sich hier benehmen oder anziehen sollte, um einen guten Eindruck zu machen." Außerdem begleiten er und sein kleines Team Flüchtlinge zu den Behörden, zum Arzt oder Jobcenter und organisieren Ausflüge in den Zoo oder Schlossgarten in Hannover. "Wir müssen in den Leuten Interesse wecken und ihnen zeigen, was in Deutschland möglich ist, damit sie sich integrieren können."

Die Zusammenarbeit zwischen Migranten und Deutschen ist dem quirligen 47-Jährigen wichtig. "Wir möchten keine Ghettoisierung, wir wollen Austausch." Im November und Dezember nimmt seine Gemeinde an zwei interkulturellen Gottesdiensten teil, bei dem Christen aus der ganzen Welt zusammenkommen. Das sei die ideale Gelegenheit, um miteinander ins Gespräch zu kommen, erklärt Divangamene seinen Leuten schmunzelnd. "Dieses Land bietet viele Möglichkeiten für gute Migranten. Ich bin ein Beispiel."
Quelle: Die multikulturelle christliche Gemeinde mit Pastor Theophile Divangamene. epd-bild/Harald Koch
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